Ich liebe den Herbst. Die prächtigen Farben laden zum Staunen ein und ziehen mich nach draußen in die Wälder und Täler. Um mich herum ist alles im satten Gelb der Birkenblätter gefärbt und unter meinen Füßen bieten kleine rote Blaubeerblätter, hellgrüne Flechten und eine Vielfalt an Leben ein wunderbares Farbenspiel. Der Herbst ruft dazu auf, langsam zur Ruhe zu kommen und an regnerischen Tagen genieße ich es, bei Kerzenschein in meinem kleinen Haus zu sitzen, zu lernen und zu lesen.





Der Herbst begann in Tromsø sehr plötzlich. Heute vor zwei Wochen bin ich mit meinem Mitbewohner Pau zu einer Wanderung über den Bønntuva aufgebrochen. Staunend erklommen wir die ersten 300 Meter bis zur Baumgrenze, war hier doch vor einer Woche noch alles grün gewesen. Nach dem steilen Anstieg verlief der Weg durch ein wunderschönes Tal mit weitem Blick über Tromsø und die umgebenden Berge. Wir waren recht spät gestartet und schon bald wurde es dämmrig. Die Tage werden jetzt schnell kürzer, jeden Tag wird die Nacht neun Minuten länger. Der Weg stieg wieder an und nun liefen wir in den Wolken. Unsere Sicht war stark eingeschränkt, aber dank Steinhaufen am Wegesrand, GPS und digitaler Wanderkarte folgten wir sicher dem Weg bis auf etwa 720 Höhenmeter. Als es schwierig wurde, den Boden unter den Füßen zu erkennen, schaltete ich meine Stirnlampe ein und war sofort fasziniert von den mir entgegenrasenden und hinter mir verwirbelnden Wassertröpfchen der Wolken. Auf dem Abstieg dienten uns im Licht der Stirnlampe reflektierende Markierungen als Orientierungshilfe. Endlich kamen wir an dem See an, an dem wir die Nacht verbringen wollten. In der Finsternis schlugen wir unser Zelt auf, aßen geschmierte Brote und wärmten uns eine Suppe auf dem kleinen Campingkocher auf. Es tat gut, nach dem langen Laufen den schweren Wanderrucksack abzunehmen und sich aufzuwärmen. Nach einer Tasse Tee mit Seewasser krochen wir in unsere Schlafsäcke und ich war glücklich, zum ersten Mal in Tromsø in den Bergen zu schlafen.



Am nächsten Morgen wurde ich von dem Prasseln des Regens auf der Zeltwand wach – für mich eines der schönsten Geräusche auf der Welt. Ich lauschte eine Weile und schlief schließlich wieder ein, froh, im trockenen, warmen Zelt zu sein. Als ich wieder aufwachte, war der Regen zu unserem Erstaunen vorbei, sodass wir im Windschatten des Zeltes Porridge mit Apfel und Nüssen zum Frühstück kochen konnten. Die Wolken hingen knapp über uns und viel besser als am Abend war die Sicht nicht, aber immerhin war es nun hell. Auf dem Nachhauseweg durch das lange Troms-Tal blieben wir weitgehend trocken und genossen die Herbstfarben um uns herum, welche so plötzlich gekommen waren.







Heute lief ich mit meiner Mitbewohnerin Torunn den gleichen Weg bis in das märchenhafte Tal knapp überhalb der Baumgrenze. Zwischen den vorüberziehenden Wolken erwartet man fast, einen Troll auftauchen zu sehen. Während wir liefen, sprachen wir über die Wissenschaft des Herbstes: Torunn erzählte mir, warum manche Pflanzen im Herbst mehr Chlorophyll einziehen als andere und welche Pigmente die Herbstfarben hervorrufen. Ich erzählte Torunn, wie man in der atmosphärischen CO2 Konzentration die Erde im Frühjahr ein und im Herbst ausatmen sehen kann. Wir entzündeten ein Lagerfeuer und machten darauf Pfannkuchen, welche zwar nicht besonders schön aussahen, aber mit Zitronensaft und Zucker oder Himbeermarmelade wurderbar schmeckten. Immer wieder bin ich begeistert von der Selbstverständlichkeit der NorwegerInnen, ihre Zeit in der Natur zu verbringen und sei es nur, um auf einem Berg Pfannkuchen zu machen. Ich bin dankbar für diese Erfahrungen.




Viele der gelben Birkenblätter, welche vor zwei Wochen noch die Bäume schmückten, liegen inzwischen auf dem Weg. Bald wird es Winter und die Bäume kahl. Tromsdalstinden war zu Beginn dieser Woche schon schneebedeckt. Gestern war der durch das Äquinoktium astronomisch definierte Herbstanfang und somit sind meine Tage ab nun kürzer als eure. Eine Weile möchte ich noch die Farbenpracht des Herbstes genießen, doch dann bin ich bereit und gespannt auf den Winter.