Vom Licht

Den Lauf der Sonne über die Jahreszeiten zu verfolgen – das war einer der Gründe, der mich für ein Jahr nach Tromsø zog. Über die vergangenen zweieinhalb Monate, die ich nun schon in Tromsø lebe, habe ich erleben können, wie die anfangs sehr langen Tage immer kürzer wurden und Sonnenaufgang und -untergang immer weiter in den Süden rückten.

Als ich heute um 13:30 Uhr aus dem Haus ging, um zur Uni zu radeln, schien die Sonne gerade zwischen den Bergen hindurch und ich blieb stehen, um sie zu genießen. Die Sonne steht nun so tief, dass sie die meiste Zeit von der Bergkette im Süden vollkommen verdeckt wird und nur kurze Zeit dazwischen hervorlukt – vorausgesetzt es ist nicht zu bewölkt. Ich legte mein Fahrrad im Gras ab und schaute der Sonne entgegen, spürte ihre zarte Wärme im Gesicht und nahm mir die Zeit zu warten, bis sie wenige Minuten später hinter dem nächsten Berg verschwunden war. Wie oft werde ich die Sonne wohl noch sehen, bevor sie bald zum letzten Mal hinter den Bergen aufgeht und die zweimonatige Polarnacht beginnt? Auf der Brücke zwischen Tromsdalen und Tromsøya kam die Sonne noch einmal hinter dem nächsten Berg hervor und wieder blieb ich stehen, von der Schönheit und Kraft der Sonne verzaubert.

Blick von der Brücke nach Süden. Tromsø, 2. November, 13:50 Uhr.

Die Sonne blickt nicht mehr über den Horizont, doch indirekt lässt sie die Nacht im Licht erstahlen. Sonnenwinde senden energiereiche geladene Teilchen in die Erdatmosphäre, wo sie mit dem Magnetfeld der Erde wechselwirken und Sauerstoff und Stickstoffatome zu Fluoreszenz anregen. Als ich mit dem Fahrrad von der Uni nach Hause fahre, staune ich über das grüne Nordlicht, welches den Himmel in großem Bogen überspannt. Ich komme gerade zuhause an, als die Nordlichter in Intensität zunehmen und ich mit offenem Mund nach oben starre. Wie am Vormittag lege ich mein Rad in das Gras, aber nun verzaubert mich nicht das Licht der Sonne, sondern das Nordlicht. Die Lichter tanzen über den Himmel und die Kanten des grünen Lichts werden violett. Wie ein im Wind flatternder Vorhang bewegen sich die leuchtenden Streifen. Auf einmal erstahlt der Himmel im violetten Licht und die Lichter tanzen wild über mir. Ich lege mich aufs Gras neben mein Fahrrad und genieße das Schauspiel. Nach einigen Minuten hat sich der Himmel beruhigt und nur noch ein schwaches grünes Leuchten ist zu vernehmen.

Bald wird die Sonne sich für den Winter verabschieden und die lange Dunkelheit beginnt. Doch manche nennen diese Zeit auch die Farbenzeit, denn die Nordlichter lassen den Nachthimmel in grün und violett erstahlen. Ich blicke dieser Zeit mit Ehrfurcht, aber auch großer Vorfreude entgegen.

Advertisement

Leave a Reply

Fill in your details below or click an icon to log in:

WordPress.com Logo

You are commenting using your WordPress.com account. Log Out /  Change )

Facebook photo

You are commenting using your Facebook account. Log Out /  Change )

Connecting to %s