Spuren im Schnee

Es ist noch stockduster als ich gegen 7 Uhr aufstehe. Der Himmel ist jedoch klar und verspricht bestes Wetter für eine Tour in die Berge. Meine Vorlesungen sind für dieses Semester größtenteils beendet und die Prüfungen stehen in knapp drei Wochen an. Gemeinsam mit meinen Mitbewohnern breche ich im Morgengrauen auf, um unser Glück im Tageslicht am etwas über 1000 Meter hohen Ullstinden im Norden des Festlandes zu versuchen. Mit im Gepäck sind Schneeschuhe, welche ich mir am Abend zuvor bei Turbo kostenlos ausgeliehen habe. Hier unten in Tromsdalen und auf der Insel Tromsøya ist der vereinzelte Schnee der letzten Wochen wieder geschmolzen, doch die Berggifpel um uns herum sind alle schneebedeckt. Ich bin noch nie im tiefen Schnee wandern gewesen und bin gespannt auf die Erfahrung, aber auch froh, mit meinen Mitbewohnern erfahrene Winterwanderer dabei zu haben. Während der einstündigen Busfahrt nach Oldervik bestaunen wir die schneebedeckten Berge über den Fjord, welche von der Morgenröte in wunderbares Licht getaucht werden. Eine weitere kleine Gruppe sitzt mit uns im Bus, welche augenscheinlich ebenfalls den klaren Tag für eine Wanderung nutzen möchten.

Von vorne nach hinten: Pau, Torunn, Bror und ich.

Anfangs weisen rote Markierungen an Pfosten und Bäumen uns den Pfad durch den kahlen Birkenwald. Wir schlittern über zugefrorene Teiche, stapfen durch den vereisten Schnee und begegnen ab und zu einem leise plätschernden Bach. Die Sonne beginnt, die Berggipfel in der Ferne in Licht zu baden und motiviert uns zu unserem Aufstieg. Das Laufen im eisigen Schnee ist anstrengend, denn ich sinke bei fast jedem Schritt ein und bin froh, meine roten Gamaschen zu tragen. Ab der Baumgrenze verliert sich der Pfad, doch der Weg ist klar. Wir begegnen immer wieder Tierspuren im Schnee und bleiben stehen, um sie zu diskutieren. Bror, der Freund von Torunn, ist Jäger und kennt sich mit den lokalen Tieren und ihren Spuren bestens aus. Wir treffen auf Spuren eines Schneehasen und winzige Spuren, die vermutlich von einem Mauswiesel stammen. Wir sehen jede Menge Spuren von Alpenschneehühnern im Schnee, welche augenscheinlich auf der Suche nach Moosen und kleinen Gewächsen wie Zwerg-Birken unter der Schneedecke waren. Ebenfalls auf Futtersuche war wohl eine Herde Rentiere und hat dabei ein ziemlich durchwühltes Schneefeld hinterlassen, aus dem die abgeknabberten Ästlein hervorschauen. Die Spuren scheinen nicht alt zu sein und tatsächlich sehen wir kurz darauf eine Schar Schneehühner davonfliegen und erspähen nicht weit von uns fünf grasende Rentiere. Ich finde es beruhigend, dass diese Landschaft von so viel wildem Leben bevölkert wird.

Alpinschneehuhnspuren im Schnee.
Hier hat ein Rentier gegraben.
Blick nach Südwesten.

Inzwischen ist der Schnee so tief, dass ich meine Schneeschuhe anschnallen kann und ich bin erfreut, dass ich damit nicht mehr so tief in den Schnee einsinke. Wir fügen unsere Fuß- und Schneeschuhspuren zu den Tierspuren hinzu und setzen unseren Aufstieg fort. Schon bald merken wir, dass unser angepeiltes Ziel in den vorherrschenden Schneebedingungen und mit unserem Zeitansatz, den letzten Bus zurück gegen 15 Uhr zu nehmen, nicht erreichbar ist. Anstatt uns durch den tiefen Schnee zu hetzen, beschließen wir, stattdessen den näherliegenden 891 Meter hohen Svarthammartinden zu besteigen. Der Anstieg wird zunehmend steil und ist selbst mit Schneeschuhen herausfordernd. Ab und zu falle ich in den glücklicherweise weichen Schnee, doch die Sonne, welche inzwischen auf den Gipfel scheint, motiviert uns, weiter zu stapfen. Die ersten Sonnenstrahlen im Gesicht sind eine großartige Belohnung für die Mühen und ich bestaune den in der Sonne glitzernden Schnee. Endlich erreichen wir den vorderen der Gipfel und beschließen, für heute nicht weiterzugehen. Mit einem extra Pulli gegen den kälteren Wind hier oben gewappnet genießen wir unsere geschmierten Brote und beobachten, wie sich die Sonne im Süden hinter dem gegenüberliegenden Berg erhebt und langsam wandert. Wir wärmen uns mit einer Tasse heißem Chai auf und teilen eine Packung Kvikklunsj, die typische norwegische Tourschokolade. Die Aussicht auf die umliegenden Berge und Fjorde ist wundbar. Besonders erhaben sind die Lyngenalpen im Osten. Die Sonne verschwindet kurz hinter einem Berg und taucht auf der anderen Seite wieder auf. Wir beobachten ihren Kurs und schon bald ist sie hinter dem nächsten Berg verschwunden, hinter dem sie für heute nicht mehr auftauchen wird. In diesen Tagen ist es so kostbar, die Sonne während ihres kurzen Kurses überhalb der Berge zu verfolgen. Tromsdalen, wo ich lebe, bekommt schon jetzt keine Sonne mehr zu Gesicht und ich versuche an klaren Tagen diese kurzen Momente der Wärme von der Uni aus einzufangen. Das Wissen, dass die Sonne bald nicht mehr über den Bergen auftauchen wird, lässt mich sie deutlich mehr wertschätzen.

Svarthammartinden mit Lyngenalpen im Hintergrund.

Die Morgenröte geht fast unmittelbar in die Abendröte über und auf unserem Abstieg sind die Farben ein Trost für das zügige Verschwinden der Sonne. Der Abstieg ist trotz steilem Terrain deutlich leichter als der Aufstieg und aus Freude über die erfolgreiche Tour beginnen wir eine Schneeballschlacht. Wir folgen unseren Spuren im Schnee zurück und sind gut in der Zeit, um den Bus nach Hause zu erreichen. An der Baumgrenze nehme ich meine Schneeschuhe wieder ab und als wir unten ankommen, ist es schon deutlich düster geworden. Ich bin froh, das Tageslicht mit dieser wunderbaren Tour mit meinen Mitbewohnern genutzt zu haben und denke, dass dies nicht meine letzte Schneeschuhtour war.

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