Von der Ruhe und den Schafen

Hier war es lange ruhig, denn bei mir ist von Ruhe keine Spur. Je länger ich nicht berichte, desto mehr gibt es zu berichten und desto größer und unerreichbarer wird die Aufgabe. Folgenden Text habe ich vor zwei Wochen geschrieben, nachdem ich meine Meteorologie Prüfung geschafft hatte und an einem ruhigen Abend nach zwei Wochen intensiven Lernens einmal durchatmen konnte. Seit dem sind die Jahreszeiten vorangeschritten und ich fahre inzwischen mit Winterreifen Rad. Ich wollte von mehr Erlebnissen berichten, aber warum sollte ich nicht eines nach dem anderen teilen. Ich nehme euch mit auf eine kleine Zeitreise.

14. Oktober

In der Natur um mich herum kehrt langsam Ruhe ein, denn der Winter rückt spürbar näher. Das strahlende Gelb der herbstlichen Birkenblätter ist dem tristen grau der kahlen Bäume gewichen und der blaue Himmel schaut nur selten hinter den grauen Wolken hervor. Die Berge um Tromsø herum sind inzwischen schneebedeckt und es wird nicht mehr lange dauern, bis auch hier unten alles weiß ist. Die Sonne verschwindet nun bereits vor 17 Uhr hinter den Bergen und bald wird sie nicht mehr dahinter hervorkommen. Doch von der einkehrenden Ruhe der Natur ist bei mir derzeit keine Spur. Mein Studium läuft auf Hochturen, ich verbringe zunehmend viel Zeit mit Musik und der Klimaschutz darf auch nicht auf der Strecke bleiben. Ich bin so beschäftigt, dass ich kaum mehr Zeit finde, die letzten Herbstwochen in den Bergen zu genießen, geschweige denn euch auf diesem Blog von meinen Erlebnissen zu berichten. Bereichernde, glückliche und einzigartige Erlebnisse hatte ich jedoch nicht zu knapp und ich möchte euch mitnehmen, diese Revue passieren zu lassen.

16.-18. September: Schafe sammeln

Als ich letzten Sommer bei meiner Gastfamilie in Tromsø gelebt habe, durfte ich an einem ganz besonderen Erlebnis teilhaben. Die Großeltern der Kinder besitzen eine Schaffarm in der Region Vesterålen nordöstlich der Lofoten und jedes Jahr, wenn sich der Sommer dem Ende zuneigt, werden viele fleißige Hände benötigt, um die rund 200 Schafe aus ihrem Sommerquartier in den Bergen und Tälern zurück in die warme und sichere Farm zu begleiten. Im vergangenen Jahr war ich mit Begeisterung dabei und ich konnte es mir nicht entgehen lassen, dieses Jahr als nun erfahrene Schafsammlerin wieder dabei zu sein. Es war eine sehr norwegische Erfahrung.

Mit meiner Gastfamilie fuhr ich am Freitagnachmittag die etwa 400 km nach Südwesten und bestaunte die prächtige Herbstlandschaft. Ich freute mich schon auf mein gemütliches mit Schaffell ausgekleidetes Bett im Dachgeschoss und eine erholsame Nacht, bevor es am nächsten Morgen in die Berge ging. Nach dem Frühstück trafen wir die anderen Helfenden, von denen ich die meisten noch aus dem letzten Jahr kannte, und so begrüßte man sich mit “Takk for sist!”. Dies ist eine meiner liebsten Redewendungen im Norwegischen. Sie bedeutet “Danke fürs letzte Mal” und ist eine übliche Begrüßung, egal wie lange das letzte Mal auch zurückliegen mag. Wir bekamen Funkgerät und kvikk lunsj (norwegische Keksschokolade, welche man typischerweise auf Touren isst und welche die Bergvernunftsregeln “Fjellvettreglene” auf der Innenseite aufgedruckt hat) ausgeteilt und machten uns zu elft mit unseren leuchtenden Warnwesten auf ins Tal. Das Vorgehen beim Schafesammeln ist das Folgende: Wir nehmen uns eine Bergseite nach der anderen vor, gehen gemeinsam bis ans Ende des Tals, spalten uns auf einer Linie auf und durchsieben dann langsam den Wald, wobei wir nach Schafen Ausschau halten und auf das Klingeln von ihren Glöckchen hören. Der Abstand zwischen zweien ist so groß, dass man sich im besten Fall dank der gelben Warnwesten gerade noch sehen kann und durch ständiges Zurufen stellen wir sicher, dass wir weiterhin auf einer Linie laufen, um ja kein Schaf zu verpassen. Sobald jemand ein Schaf sichtet oder hört, wird dies über Funk an die anderen kommuniziert und das Schaf die Linie entlang hinunter getrieben, bis es auf dem Weg ankommt, wo es sich zu den anderen Schafen gesellt und meist schon von allein nach Hause läuft. Zumindest die Schafe mit den blauen Markern im Ohr wissen den Weg nach Hause, während Schafe benachbarter Farmen ungern mitkommen wollen. Die Schafe in die richtige Richtung zu bewegen, erfordert Geschick und Schnelligkeit. Da Schafe immer vor dir weglaufen, musst du erst in sicherem Abstand über sie gelangen, um sie dann vorsichtig nach unten zu schicken. Sollten sie ausreißen, bedeutet es schnelles Laufen, um wieder vor sie zu gelangen und ihnen den Weg zu weisen. Das Terrain in diesem Tal ist wirklich herausfordernd und schnell rennen daher gar nicht mal so einfach. Ich kämpfte mich viel durch kleine dichte Birken, hielt mich an Ästen fest, um nicht abzurutschen und kletterte vorsichtig über mit Moos bewachsene Steinfelder. Schafe sammeln ist auch mit viel Geduld verbunden und langen Zeiten des Wartens, während andere einzelne Schafe suchen. Ich genoss es, in der Natur unterwegs und aktiv zu sein und dabei konzentriert nach dem leisen Klingeln zu lauschen. In den Pausen hatte ich Gelegenheit, die bunte Herbstlandschaft von nah und fern zu fotografieren und viele Preiselbeeren vom Strauch in meinen Mund zu befördern.

Zum Mittag gab es Brötchen mit Lachs und Ei und Waffeln mit Brunost. In der Nachmittagstour sammelten wir viele Schafe und ich hatte riesigen Spaß, große Gruppen durch den Wald zu lenken. Die Sonne ließ sich blicken und wir waren tatsächlich vor der Dunkelheit zurück. Ich erinnere mich nur zu gut ans vorige Jahr, wo wir bis spät noch Schafe gesammelt haben und ich die einzige war, die eine Stirnlampe dabei hatte, mit der ich zwei schwarze Schafe im Wald finden konnte, weil ihre Augen reflektierten. Vollgegessen, erschöpft und ein bisschen zerkratzt fiel ich nach dem Abendessen ins Bett. Am nächsten Morgen nieselte es angenehm, als wir den Berg hinaufstiegen. Wir fanden keine Schafe mehr, nur zwei Elche, welche wir aber nicht zur Farm brachten. Schließlich waren da noch zwei Schafe, welche partout nicht nach Hause wollten und uns immer wieder ausbüchsten. Wir nahmen die Verfolgung auf, rannten durch Moore, bis die Füße klitschnass waren und sprangen über Flüsse, es den Schafen gleichtuend. Leider mussten wir am Ende aufgeben, aber die Erfahrung werde ich lange nicht vergessen und meine Muskeln erinnerten mich die kommenden Tage noch an dieses Rennen.

Nach dem Mittagessen machte ich mich auf den langen Heimweg mit drei Bussen. Ich bin froh, dieses Jahr wieder teilgenommen zu haben und nebenbei durchs Funken und Gespräche beim Essen mein Norwegisch etwas aufgebessert zu haben. Alles in allem war es eine sehr norwegische Erfahrung.

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